Die Priener gründen eine Realschule

Prien am Chiemsee, Oberbayern, 06.04.1976

 

Über 300 Menschen drängen sich in den überfüllten “Großen Kursaal” der Marktgemeinde Prien am Chiemsee. Sie folgen der Einladung von Bürgermeister Franz Seebauer. Er informiert sie über die Ziele, Schwierigkeiten und Möglichkeiten bei dem Aufbau einer Realschule in Prien.

 

Zu diesem Zeitpunkt vertrat das Kultusministeriums den Standpunkt, dass neben den Realschulen in der Stadt Rosenheim, in Bad Aibling, in Wasserburg und künftig auch in Brannenburg kein weiterer Bedarf an Realschulen im Landkreis Rosenheim bestand.[1]

Auch die Stadt Rosenheim war dagegen, denn der Landkreis wäre demnach nicht mehr in der Lage gewesen, so viele Schüler in die Städtischen Realschulen nach Rosenheim zu schicken und er hätte ebenfalls nicht mehr die Gelder gezahlt, die man sich in Rosenheim erhoffte.

Nicht nur die Stadt Rosenheim war dagegen, sondern auch die Nachbarschaft machte Schwierigkeiten: Bürgermeister Linseis aus Endorf wollte die Realschule in der eigenen Gemeinde - ohne dafür eine Umlage zu erheben – errichten.

 

Herr Seebauer, der Bürgermeister von Prien musste gegenüber seinen Bürgermeisterkollegen überzeugend gegen den Bau einer Realschule in Endorf argumentieren und ebenfalls anbieten, für eine Übergangszeit keine Beiträge zu verlangen. Er gewann mit seinen Argumenten auch den damaligen Landrat Knott und seinen für das Schulwesen zuständigen Oberregierungsrat Dr. Gimple für den sinnvolleren Standort einer Realschule in Prien.

 

Soweit die Vorgeschichte: Bei der Bürgerversammlung im “Großen Kursaal” beschließt man spontan eine “Bürgerinitiative” zur Errichtung einer Realschule für Knaben und Mädchen zu gründen.

Frau Huber, die damals gebeten worden war, sich um die Kasse zu kümmern, erinnert sich noch genau [2]:
“Der Herr Seebauer hat die Vorbereitungen getroffen, und als er die Bürgerversammlung einberufen hat, ist alles schon ein bisschen angeleiert gewesen. Die Tochter haben wir auf dem Gymnasium, auf der Fraueninsel gehabt. Dann hat es geheißen, es gibt in Prien eine Realschule. Nichts wie hin und dann: Ich war der Kassier von Anfang an.”

 

Die “Chiemgau – Zeitung berichtet am 13.4.1976: “Zum Sprecher der Bürgerinitiative wurde der Bankdirektor der Volksbank Prien, Herr Siegfried König gewählt. ... Man beschloss, eine Unterschriftenaktion zu starten.”
Kurz darauf lagen in den nächsten Tagen und Wochen in den Geschäften in Prien und Umgebung Unterschriftslisten auf, in die sich mehr als 2000 Bürger eintrugen.

Empört über die Argumente des Kultusministeriums, dass keine Realschule in Prien notwendig ist, traten spontan viele Priener der Bürgerinitiative bei, um endlich dem “Kumi” (Kultusministerium) Feuer unter dem Hintern zu machen und die Gründung einer Realschule in Prien zu unterstützen.

 

Am 5. Mai 1976 wurden die Unterschriftslisten mit den wichtigsten Gründen, die für eine Realschule in Prien sprachen, an das Kultusministerium und an den Landrat geschickt.

 

Ungefähr einen Monat später entstand aus der Bürgerinitiative ein Förderverein, der heute noch existiert. Dieser hatte auf Anhieb ca. 70 Mitglieder, deren wichtigsten Personen die Schülereltern waren, die den Schulbetrieb unwahrscheinlich verbesserten.
Erster Vorsitzender wurde Lothar Rechberger, der uns in einem Interview berichtete: “Dann gab es da einen Ministerialbeauftragten in München für die Realschulen und der hat dann auf Anfrage der Gemeinde Prien, so ungefähr gesagt, im Chiemgau besteht kein weiterer Bedarf für eine weitere Realschule und diese Antwort hat eigentlich die Geschichte ins Rollen gebracht. Da haben wir gesagt, dann machen wir es eben selber!”
Weiter erzählte er uns: „Dann hatte irgendwer die Idee gehabt, ja, gehen wir das Telefonbuch durch. Von Aschau, Bernau, Prien, Rimsting bis Endorf. Breitbrunn natürlich auch noch. Dann haben wir die Namen aus dem Telefonbuch herausgeschrieben und haben allen einen Brief geschickt.”

 

Das Kultusministerium schrieb in einem Brief am 1. Juni 1976 an die Bürgerinitiative: „Ich darf ihnen jedoch nicht verhehlen, dass ich die Errichtung einer kommunalen Realschule in Prien für nicht sinnvoll halte, da sich nach den mir vorliegenden Geburtszahlen des Einzugsbereiches einer Realschule in Prien ... eine auf Dauer zu geringe Schülerzahl für eine Realschule ergibt.”
Jedoch konnte dies widerlegt werden, wie uns Herr Rechberger, der Vorsitzende der Bürgerinitiative in einem Interview weiter erklärte: „Das Argument, der Bedarf ist nicht da, war meiner Meinung nach vorgeschoben. Das haben wir ja widerlegt. In kürzester Zeit war die Bude voll, wir haben ja Leute ablehnen müssen! Die Anmeldungen waren weit mehr für die Schule als wir unterbringen konnten ...”

Das Kultusministerium gab unter anderen Gründen noch weitere vor, die gegen eine Realschule in Prien sprachen, zum Beispiel hatte es Befürchtungen, es könnte zu kostspielig werden.
Vielleicht plante das “Kumi” auch schon, in Marquartstein eine Realschule zu errichten, die später, 1986, auch gebaut wurde.

 

Auf den Antrag der Gemeinde Prien, eine Realschule zu errichten, rechnete (nach Aussage von Herrn Dr. Gimple) Dr. Aßmann, der damals zuständige Referent im Kultusministerium, lang und breit vor, dass zwischen Traunstein und Rosenheim keine weitere Realschule erforderlich sei, da die vorhandenen Schulen den Bedarf abdecken würden.

Dies war der entscheidende Satz, der die Marktgemeinde Prien dazu brachte, keine staatliche Schule zu beantragen, sondern eine gemeindeeigene Realschule aber mit staatlichen Zuschüssen zu gründen.
So kam es dann zur Errichtung der Priener Realschule, nachdem man alle Voraussetzungen erfüllt hatte, die das Kultusministerium verlangt hatte, wozu die Bürgerinitiative einen großen Beitrag leistete.

 

Am 01.08.1976, nach all diesen Aufregungen, tritt die Satzung über die Gründung der Realschule Prien, die von der Marktgemeinde Prien beschlossen worden war, in Kraft.
Und wenige Jahre später, im Jahr 1986, wurde die Aussage des Dr. Aßmann, dass keine Realschule zwischen Rosenheim und Traunstein mehr nötig sei, mit einem Bau einer staatlichen Realschule in Marquartstein widerlegt.
Diese falsche Voraussage des Kultusministeriums war auch später noch eine große Enttäuschung für die Priener.

 

Wer war und ist nun eigentlich der Gründer der Realschule Prien? Das kann man leider nicht mehr genau sagen, denn jeder unserer Interviewpartner schilderte uns die Entstehungsgeschichte etwas anders.

Der heutige Landrat Dr. Gimple schilderte es uns so: „Die ganze Entwicklung hatte sich im Wesentlichen abgespielt, so im Verhältnis, Landrat Knott, der das geduldet hat als Initiative, dann der Kopf, der das ausgeheckt hat, war ich, als juristischer Staatsbeamter. Mein verlängerter Arm, war mein Freund Kollmannsberger, damals zweiter Bürgermeister in Prien, und der hatte einen guten Draht zur Mehrheitsfraktion mit der Vorsitzenden Edeltraud Fessler und dem Bürgermeister in Prien Herrn Seebauer. So kam die Realschule dann zustande.”

 

Herr Rechberger teilte uns dagegen am Ende des Interviews mit: „Ich bin überzeugt, wenn nicht der Seebauer, zu dem ich oft ein gespanntes, in dem Fall aber sehr inniges Verhältnis gehabt hatte, so dickköpfig gewesen wäre und vorgegangen wäre wie ein Panzer, gäbe es die Realschule heute nicht.

 

Der ehemalige Priener Bürgermeister Seebauer ist ähnlicher Meinung und gab uns auf die Frage, wie er es aus heutiger Sicht sieht, folgende Auskunft: “Ich würde es heute immer wieder machen, ohne Zweifel. Ich würde keinen Schritt anders machen als ich damals gemacht habe, dass ich die Schule gegen den Landrat durchgesetzt habe und dass sie heute funktioniert ... und dass sie auch in der Zukunft Bestand hat, auf das bin ich schon stolz.”

 

Der heutige Bürgermeister von Prien Herr Kollmannsberger teilte uns zuletzt am Ende seines Interviews noch mit: „Ich weiß nicht, wer meint, dass er der Gründungsvater ist, ich bin es auf jeden Fall nicht, sondern der Dr. Gimple ...

Ich würde für die Realschule kämpfen. Natürlich war sie unser liebstes Kind, das wird dem Herrn Seebauer genauso gehen einfach, weil es eine schwere Geburt war. Auch der Herr Dr. Gimple würde für die kämpfen, weil er eben viel für die Entstehung getan hat. Er hat den Anstoß gegeben ... Wenn ich alleine gewesen wäre, hätte ich das nicht geschafft!”

 

Doch in einem sind sie alle sich einig: dass sich die ganze Arbeit gelohnt hat! Wir Priener Realschüler glauben, dass dieser Widerstand der Gemeinde Prien gegen das Bayerische Kultusministerium und die Arbeit der Bürgerinitiative entscheidend waren für die Entstehung unserer Schule. Oder, wie Dr. Gimple am Ende seines Interviews zusammenfasste:

Es war ein Segen für den Chiemgau und für Prien, denn damit war Prien ein Schulsitz für verschiedene Schultypen und ein Bildungszentrum.


So ist aber sicher nie eine Schule zustande gekommen, also gegen den erklärten Willen des Staates.

Und für uns heißt es:
Ohne diesen Widerstand aller gegen das Kultusministerium in München wäre es uns nicht möglich, jetzt auf diese “besondere” Realschule gehen zu können. Und so wird diese Protestbewegung bestimmt noch in viele weitere Generationen wirken!

 

 

Quellen: ---------------------------------
[1] Brief an Gemeinde Prien vom 16. Juli 1976 siehe Dokumente im Anhang
[2] Alle Zitate sind den Interviews und Dokumenten im Anhang entnommen.